Wirkung und Wirkfaktoren einer pädagogischen LRS-Therapie. Weitere Ergebnisse aus der LOS-Studie
II
Gisela Bohr
Der LOS-Verbund lässt 2015/2016 zum zweiten Mal den Fördererfolg der pädagogischen LRS-Therapie in den LOS durch eine wissenschaftliche Studie überprüfen. Neu ist diesmal, dass auch der Einfluss einiger Förderbedingungen untersucht wird, um die Förderung weiter zu optimieren.
Drei von vier Teilstudien sind nun abgeschlossen und die Ergebnisse können in Zusammenhang gebracht und einer
genauen Betrachtung unterzogen werden:
1. Überprüfung der Rechtschreibleistung anhand der Lernverläufe von ca. 10.000 jungen Menschen, die größtenteils noch im LOS gefördert werden, aber auch von solchen, die ihre Förderung schon
beendet haben,
2. Befragung von etwa 1.500 Eltern der LOS-Schüler mittels eines standardisierten Online-Fragebogens,
3. Befragung der LOS-Leitungen mittels eines standardisierten
Online-Fragebogens.
Auf Wunsch der LOS-Leitungen wurde eine individuelle Auswertung für ihr LOS erstellt.
Die vierte Teilstudie - Befragung von ca. 400 Förderlehrern im LOS - ist auch beendet. Die Ergebnisse werden beim nächsten Treffen des Wissenschaftlichen Beirates im September diskutiert. Im
WORTSPIEGEL 1/2017 wird dazu ein Beitrag erscheinen. Ein erster wissenschaftlicher Bericht über die Studienergebnisse wird voraussichtlich im Dezember 2016 veröffentlicht.
Im aktuellen WORTSPIEGEL finden die Leser insgesamt vier Beiträge zur LOS-Studie:
Professor Dr. Wolfgang Schneider, Uni Würzburg, ist wissenschaftlicher Leiter der Studie und verantwortet die Befragung der LOS-Eltern. In Auszügen zeigt er, welche Gründe die Eltern für die
Aufnahme der Förderung und deren Abschluss nannten, wie die Eltern die Elemente des
LOS-Konzeptes bewerten und wie zufrieden sie mit dem Erfolg der Förderung sind. In einem anschließenden Interview mit sechs erfolgreichen LOS-Leiterinnen und -Leitern erläutern diese, welchen
Stellenwert die Elternarbeit und die Bewertung ihres LOS durch die Eltern für sie hat. Sie zeigen, wie sie dadurch ihre Förderung im LOS weiter verbessern werden.
Dr. Peter May, der Autor von schreib.on, dem in der Studie verwendeten Online-Testsystem, ist Projektleiter der Studie. Er nimmt in seinem Beitrag einige Ergebnisse aus den drei ersten
Teilstudien kritisch unter die Lupe, zeigt Zusammenhänge auf und leitet daraus Empfehlungen für eine pädagogische Diagnose und Therapie der LRS ab. In erster Linie zielen diese Ratschläge
auf die Arbeit der untersuchten LOS. Jedoch auch alle anderen Förderlehrer können daraus Hinweise für eine erfolgreiche Hilfe bei LRS ableiten.
Der Beitrag wird abgeschlossen durch ein Interview, das eine junge Psychologin mit Dr. Peter May führt.
Dr. Peter May, der Autor von schreib.on, dem in der Studie verwendeten Online-Testsystem, ist Projektleiter der Studie. Er nimmt in seinem Beitrag einige Ergebnisse aus den drei ersten
Teilstudien kritisch unter die Lupe, zeigt Zusammenhänge auf und leitet daraus Empfehlungen für eine pädagogische Diagnose und Therapie der LRS ab. In erster Linie zielen diese Ratschläge auf die
Arbeit der untersuchten LOS. Jedoch auch alle anderen Förderlehrer können daraus Hinweise für eine erfolgreiche Hilfe bei LRS ableiten.
LOS-Studie II: Elternbefragung
Wie Eltern die Förderung im LOS bewerten
Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Universität Würzburg
Etwa zehn Jahre nach der ersten Studie zu Förderergebnissen in den LOS wurden in der Zeit von November 2015 bis Februar 2016 erneut die Eltern von LOS-geförderten Kindern und Jugendlichen befragt. Die Fragen betrafen durchaus unterschiedliche Aspekte, zum Beispiel: Was sind die Gründe für eine Aufnahme und das Ende einer Förderung im LOS? Welche Erfolge können die LOS bei den Geförderten verbuchen? Welche Elemente des LOS-Konzeptes erscheinen den Eltern besonders wichtig und gut? Sind Eltern und Kinder weiterhin so zufrieden mit der LOS-Förderung wie im Jahr 2005? Dies sind nur einige Fragen, die im Fokus der neuen LOS-Studie II stehen.
In einem ersten Schritt wurde festgestellt, welche LOS bei der Elternbefragung mitwirken. Die potentiellen Teilnehmer wurden dann über die jeweilige Institutsleitung kontaktiert
und gebeten, die Fragebögen entweder online oder in Papierversion auszufüllen und zurückzuschicken. Alle Angaben wurden anonymisiert erhoben und gingen in dieser
Form in die Datenanalyse ein. Von November 2015 bis Februar 2016 wurden so 1.466 Fragebögen eingereicht, die 65 verschiedenen LOS zugeordnet werden konnten.
Das Durchschnittsalter der geförderten Kinder im LOS lag bei 12 Jahren. Etwa 66,2 Prozent der Befragten waren männlich. Der höchste Bildungsabschluss der Eltern war meist das
Abitur oder höher, bei 31,4 Prozent ein Realschulabschluss und nur in 5,3 Prozent der Fälle ein Hauptschulabschluss oder geringer.
Bei der überwiegenden Zahl der befragten Eltern besuchte das Kind zum Zeitpunkt der Befragung noch die Förderung im LOS. Diese war also noch nicht abgeschlossen. Insgesamt
214 der Befragten gaben an, dass die Förderung zum Zeitpunkt der Fragenbeantwortung bereits abgeschlossen war. Die meisten der Befragten gaben an, dass die Förderung seit einem Jahr oder weniger
besteht, in 18,4 Prozent der Fälle begann die Förderung vor etwa anderthalb Jahren, bei 13,8 Prozent vor zwei Jahren und bei 28,2 Prozent vor mehr als zwei Jahren.
Gründe für Aufnahme und Ende der Förderung Die Eltern nennen als Gründe für die Aufnahme der Förderung eine vorliegende Lese-/Rechtschreibstörung, familiäre
Disposition und Probleme in anderen Schulfächern. Das Hauptproblem sehen die Befragten meist in der mangelhaften Rechtschreibung, weiterhin auch in Schwierigkeiten beim Lesen sowie in der
schlechten Deutschnote der Kinder. In einigen Fällen erfolgte die Förderung auch
auf Empfehlung der Lehrkräfte. War die Förderung zum Befragungszeitpunkt bereits beendet, lag dies meist an einer guten Verbesserung der geförderten Kinder. Die teilnehmenden Eltern zeigen ein
sehr hohes Interesse am schulischen Geschehen und an den Leistungen ihrer
Kinder. So spricht sich die Mehrzahl der Lehrkräfte gegenüber den Eltern explizit für die Förderung im LOS aus, nämlich 65 Prozent. Die täglichen Übungszeiten für Lesen und Schreiben liegen in
den meisten Haushalten zwischen 0 und 30 Minuten. Diese Übungszeit konnte aufgrund der Förderung im LOS in fast 39 Prozent der Fälle verringert werden.
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Die Eltern beurteilen vor allem die optimale Förderumgebung als sehr wichtig. So legen über 80 Prozent der Eltern sehr großen Wert auf qualifizierte und kompetente LOSPädagogen,
einen regelmäßigen Unterricht sowie eine überzeugende Struktur der Förderung. Ähnlich relevant erscheint eine eher kleine Gruppengröße. Immerhin über die Hälfte der Eltern finden eine gute
Administration, die Betreuung von Eltern und Kindern durch die Institutsleitung
und das Arbeiten am PC sehr wichtig. Diejenigen Elemente, die den Befragten besonders wichtig sind, wurden auch als besonders gut eingeschätzt. So werden der regelmäßige Unterricht, die Größe der
Fördergruppen, die Qualifikation und Kompetenz der Pädagogen
und die Strukturierung des Förderunterrichts von 93 Prozent der Befragten als sehr gut und gut eingeschätzt.
Auch die gute Organisation und Administration und die Betreuung von Eltern und Kindern durch die Institutsleitung liegen in diesem hohen Zustimmungsbereich. Die Eingangs- und Verlaufstestungen
mit schreib.on, das Arbeiten am PC, die wissenschaftlich geprüfte Wirksamkeit, die mögliche Englisch-Förderung, die Elternabende, die Unterstützung durch den Wissenschaftlichen Beirat und das
Angebot von Online-Training wurden bei über 60 Prozent mit gut und sehr gut bewertet. Die Konkordanz von Beurteilungen der Wichtigkeit und
Qualität der Elemente des LOS-Konzeptes ist vielleicht ein Faktor, der die hohe Zufriedenheit mit der Förderung erklären kann.
Der Erfolg der Förderung
Lagen die Noten der geförderten Kinder im Fach Deutsch schon vor Beginn der Förderung in 37,2 Prozent der Fälle im durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Bereich,
verbesserten sich die Noten im Laufe der Zeit weiter.
Kinder aus Familien mit höherem Bildungsniveau und aus Elternhäusern mit höherem Einkommen starteten mit etwas besseren Noten in die Förderung. Hatte mindestens
ein Elternteil Abitur oder einen höheren Abschluss, betrug die durchschnittliche Eingangsnote in Deutsch 4,1. Sie war somit etwas besser als die Eingangsnote von Kindern und Jugendlichen, deren
Eltern einen Realschulabschluss oder einen Hauptschulabschluss aufwiesen. Diese Differenz ist statistisch bedeutsam und bleibt auch über den Zeitraum der Förderung stabil, was bedeutet, dass die
Noten der Kinder aus bildungsnahen Familien derzeit auch besser ausfallen. Beide Gruppen können sich jedoch in ähnlichem Ausmaß verbessern. Kinder aus Haushalten mit überdurchschnittlichem
Elterneinkommen weisen nach der Förderung durchschnittlich bessere Deutschnoten auf als Kinder, deren Eltern ein eher unterdurchschnittliches Einkommen besitzen. Insgesamt gesehen passt
dieses
Ergebnismuster zu der bekannten These der Benachteiligung von Kindern mit einem schwachen sozioökonomischen Hintergrund im deutschen Bildungssystem. Die Befunde
der Befragung machen jedoch auch deutlich, dass Kinder aus allen Bevölkerungsschichten von der LOSFörderung in vergleichbarem Ausmaß profitieren, was ein durchaus bedeutsames Ergebnis darstellt.
Die Informationen zu den Notenverbesserungen der Kinder stimmen mit den Angaben der Eltern im Hinblick auf das subjektive Empfinden von Veränderungen in ihrem Kind überein. In der Gruppe der über
ein Jahr geförderten Personen hat sich die Leistung der Kinder und Jugendlichen in der Schule insgesamt sowie speziell auch im Rechtschreiben und Lesen laut Elternangaben deutlich oder zumindest
etwas verbessert. Auch die Frage nach Faktoren, die mit dem Wohlbefinden der Geförderten zusammenhängen, wie etwa Veränderungen im Selbstbewusstsein, hinsichtlich der Leistungsangst sowie die
Einstellung zur Schule wie auch zu Lesen und Schreiben wurde meist positiv beantwortet. Die hohe Zufriedenheit von Eltern und Kindern mit der Förderung, die sich schon in den Daten der 2005
durchgeführten
Studie gezeigt hatte, konnte wiederum bestätigt werden. Knapp 90 Prozent der Eltern waren mit der Förderung im LOS voll und überwiegend zufrieden. 93 Prozent der Eltern würden ihre Kinder auf
jeden Fall wieder im LOS anmelden und 86 Prozent würden anderen Eltern
mit lese-/rechtschreibschwachen Kindern empfehlen, diese im LOS fördern zu lassen.
Weiter so!
Den LOS und ihren Institutsleitern gelingt es laut Elternrückmeldung, mit ihrer Förderung auf mehreren Ebenen Erfolge zu erzielen:
- Die Förderung führt zu einer Verbesserung der Deutschnote und der gesamten schulischen Leistung. Die Leseleistung der Kinder hat sich zum Zeitpunkt der Befragung schon in 86 Prozent der Fälle verbessert, die Rechtschreibleistung sogar in 92 Prozent der Fälle.
- Die Förderung zieht eine Verbesserung des Wohlbefindens bei den Geförderten nach sich.
- Die Förderung bringt eine Entlastung der Eltern dadurch, dass die Übungsintensität im häuslichen Rahmen reduziert wird.
- 93 Prozent der Eltern würden ihr Kind wieder im LOS anmelden.
Es spricht für sich, dass sich fast 90 Prozent der Eltern mit der Förderung voll oder überwiegend zufrieden zeigen. Bereits in der ersten Befragung von 2005 ergaben sich
ähnlich positive Werte. Für die Eltern scheint es besonders wichtig zu sein, dass die Förderung gut organisiert und strukturiert erscheint und dass sie auf die Kompetenz
der fördernden Personen setzen können. Sie wollen ihre Kinder in guten Händen wissen.
Insgesamt gesehen scheint es erfreulich, dass die Arbeit in den LOS über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren hinweg von den Eltern unverändert positiv eingestuft wird. Insgesamt wurden nur wenige
Wünsche und Verbesserungsvorschläge formuliert. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Zufriedenheit mit den Förderergebnissen der LOS sehr ausgeprägt ist, was auch der häufig vorliegende,
abschließende Elternkommentar zum Ausdruck bringt: „Weiter so!“.
Wolfgang Schneider studierte Psychologie, Philosophie und Theologie an den Universitäten Wuppertal und Heidelberg und erwarb 1975 das Diplom in Psychologie. Im Jahr 1979 erfolgte
die Promotion an der Universität Heidelberg zum Thema „Bedingungsanalysen der Rechtschreibleistung“. Von 1976 bis 1981 war er wissenschaftlicher Angestellter am Psychologischen Institut der
Universität Heidelberg. Mithilfe eines Stipendiums der Stiftung Volkswagenwerk arbeitete er von 1981 bis 1982 als „Visiting Scholar“ am Department of Psychology der Stanford University in
Kalifornien (USA). Zurück in Deutschland wechselte er von Heidelberg nach München und wirkte dort von 1982 bis 1991 zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann ab 1989 als Professor am
Max-Planck-Institut für psychologische Forschung. Im Jahr 1988 erfolgte die Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Arbeit zur Gedächtnisentwicklung bei Kindern und
Jugendlichen.
Von 1991 bis 2016 hatte er den Lehrstuhl für Psychologie IV (Pä-dagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie) an der Universität Würzburg inne. Rufe an Universitäten in Minnesota (USA),
Frankfurt und München lehnte er in diesem Zeitraum ab. Derzeit leitet er als Seniorprofessor die Begabungspsychologische Beratungsstelle der Universität Würzburg.